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New York


1917 unterschrieb der 28. Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika, Woodrow Wilson den Jones-Shafroth Act. So wurde die ehemalige spanische Kolonie ein organisiertes, aber nicht inkorporiertes Territorium der USA und alle Puerto-Ricaner erhielten die Staatsbürgerschaft der USA. Danach setzte die grösste Migrationswelle in der Geschichte der USA ein. Heute leben über 2 Million Puerto-Ricaner im Ausland. Die meisten Puerto-Ricaner siedelten nach New York über. Sie liessen sich nördlich vom Central Park und südlich von Harlem nieder. So entstand um die 116th Strasse 1920 das Spanisch Harlem bzw. El Barrio. Bald schon eröffneten die ersten Bodegas und die Plenas und Boleros erklangen in New York. Durch die grosse Depression in den 30er Jahren, die Puerto Rico mit voller Wucht traf, siedelten immer mehr Musiker nach New York über. Auch viele Kubaner flüchteten in dieser Zeit vor dem Diktator General Machado und fanden im El Barrio eine neue Heimat. Die Musik der 30er Jahre war die Plena und der Son. Vor allem das kubanische Liedgut wurde durch den Puerto-Ricaner Daniel Santos, der erste Star des lateinamerikanischen New Yorks, verbreitet.

Durch die Ankunft von Don Azpiazus mit seinem Cuban Orchestra 1931 und ihrem anschliessenden Auftritt am Palace Theatre am Broadway wurde dieser berühmte Broadway Kuba-verrückt. Die erste lateinamerikanische Welle mit Rhumba und Conga brach über New York herein. (Der erste Rhumba war eigentlich ein Son. Der Begriff Rhumba wurde zu dieser Zeit als Oberbegriff für alle Musik aus Kuba verwendet und sollte nicht mit der Rumba ohne h verwechselt werden. Die Conga ist die Karnevalsmusik von Kuba). Die Begeisterung für diese Musik führte dazu, dass verschiedene Broadway-Produzenten Musicals und Theaters mit und über die neue Rhumba aufführten. Dies öffnete vielen Musikern aus Kuba und Puerto Rico Türen und sie wurden für Musicals und in Orchestern engagiert. Vergessen darf man auch nicht, das gleich neben dem El Barrio das Harlem mit seinem Cotton Club, Savoy Ballroom und Small's Paradise lag. Im Gegensatz zu den Bewohnern der beiden Districts, welche sich milde gesagt mieden, kannten die Musiker keine Berührungsängste. Das Ergebnis war der Afro-Cuban-Jazz, welcher der Kubaner Mario Bauza mit Hilfe seines Freundes, der Jazzlegende Dizzy Gillespie entwickelte.

Ein Jahr später konnte Bauza als Sänger einen alten Freund aus Kuba gewinnen. Der Freund war kein geringerer als Frank Grillo, besser bekannt unter dem Namen "Machito". 1943 stellten sie als Machitos Afro-Cuban ihre erste Platte "Tanga" vor.

1949 war ein gutes Jahr für die lateinamerikanische Musik. Perez Prado schrieb Mambo No. 5 und zum ersten Mal spielte eine afrokubanische Band, d.h. eine Band aus dunkelhäutigen Musikern in einem Tanzsalon, in dem Weisse tanzten. Das Palladium lag an der 52. Strasse West, Ecke Broadway, also mitten in der Musik- und Theaterzone. Seine Tanzfläche bot mehr als 1000 Paaren Platz und es wurde vornehmlich der Foxtrott, Tango und Swing getanzt.

Der Manager Federico Pagani wollte für das hispanische Publikum eine Veranstaltung einrichten und engagierte dafür Machitos Afro-Cuban. Sie spielten jeweils am Sonntagnachmittag und nannten die Veranstaltung "Blen Blen Club". Der Name war eine Hommage an ihren Freund Chano Ponzo, der ein Jahr zuvor erschossen wurde. Schon bald platzte das Palladium am Sonntagnachmittag aus allen Nähten und es wurde ein zweiter Tag für die lateinamerikanische Musik reserviert.

Die Suche nach einer Band, die das Niveau von Machito halten konnte, war nicht einfach. Man fand die Picadilly Boys. Eine kleine Band, die von Tito Puente geführt wurde. Schon bald änderte er den Name in Tito Puente Orchestra und bekam seinen Spitznamen "El Rey del Timbal". Als letztes stiess Tito Rodriguez mit seinem Orchester dazu. Der gebürtige Puerto Ricaner war einer der besten Sänger seiner Zeit und ein unglaublicher Perfektionist. "The Big Tree", wie sie genannt wurden, spielten und komponierten alsbald den neusten Trend Mambo und anschliessend den Cha-Cha-Cha. Es war die Zeit der grossen Ballsäle und Kasinos, die von der kubanischen Musik geprägt war.

Auch die Revolution auf Kuba 1959 änderte vorerst nichts am Erfolg der kubanischen Rhythmen, das Gegenteil traf sogar ein. Es flüchteten viele bekannte kubanische Musiker nach New York wie die "Sonora Manteca" mit Celia Cruz, Arsenio Rodriguez und Fajardo. Im Gepäck nahmen sie den letzten grossen Hit mit, den Pachanga. Dieser wurde von den Orchestern aufgenommen und entwickelte sich zum Trend. Doch mit dem Debakel in der Schweinebucht versuchten die USA den kubanischen Einfluss zu bekämpfen. Auch wenn es nie nachgewiesen wurde, das Palladium verlor seine Lizenz für den Verkauf für hochprozentigen Alkohol wohl aus diesem Grund.

Doch dies war nur ein Teil der Probleme. Die goldene Zeit der Tanzpaläste neigte sich langsam dem Ende zu und als die Beatles 1964 in NY landeten, beerdigten sie diese. Die Popmusik veränderte das gesamte Musikbusiness radikal, innert kürzester Zeit gab es keinen Platz mehr für die grossen Orchester und mit dem Wegfall des Palladiums verlor die lateinamerikanische Musik ihr Zugpferd, ihren Trendsetter, ihre Heimat in New York. Im Radio wurden die Sons, Mambos und Cha-Cha-Chas durch die Popmusik ersetzt. Die grossen Plattenfirmen schlossen ihre kubanische Abteilung, dies teilweise wegen dem Druck die die Regierung ausübte, man wollte ja nicht als Kommunist gebrandmarkt werden, andererseits gab es keinen Markt mehr. Damit verschwand die Musik aus Fernsehen und Film. In New York, welches das Erbe von Havanna hätte antreten sollen, war die karibische Musik nach 1965 fast ausgestorben.

Die nun sehr kleine Szene verlagerte sich in die Clubs, wo sie in Charanga-Formationen auftraten. Eine Heimat für die lateinamerikanische Musik bot dazumal der kleine "Alegre Record" von Al Santiago. Johnny Pacheco war mit seinem Charanga Orchester das Aushängeschild des Labels, seine erste Platte Johnny Pacheco y su Charanga verkaufte sich mehr als 100'000 mal. Das Label hatte auch andere Bands unter Vertrag wie La Perfecta. Der Direktor der Band war ein gewisser Eddie Palmieri und am Piano sass sein Bruder Charlie Palmieri. Das Wegweisende an diesem Charanga-Orchester war die Besetzung von Barry Rogers mit seiner Posaune. Später spielten sie mit zwei bis drei Posaunen und setzten somit den Grundstein für dieses Instrument, das den Salsa bis heute prägt. Die Idee mit der Posaune stammte allerdings nicht von ihm, sondern von Mon Rivera. Doch Eddie Palmieri setzte mit La Perfecta den Grundstein.

Was sich auch grundlegend änderte war der Inhalt, die Seele der Musik. Tito Rodriguez oder Machito spielten nicht für die Menschen im El Barrio, sie spielten populäre Musik für die Weissen und Latinos aus der Mittelschicht. Kuba war das Ferienparadies für die US-Amerikaner mit gut gefüllten Portemonnaies. Mambo, Danzon und Charanga wurde in vornehmen Clubs und Casinos gespielt. Die Musik der 50er Jahre war Spektakel und Show. Das Leben im El Barrio war nicht zu vergleichen mit den glamourösen Aufführungen am Broadway oder in den Casinos.

Nachdem die lateinamerikanische Musik auf der grossen Bildfläche verschwunden war, lebte sie in den Strassen des Spanisch-Harlem weiter. Salsa und der Boogaloo sind eigentlich Protestmusik, das Leben im El Barrio war nicht einfach, es war hart. Die zweite Generation der Einwanderer wuchs mit der US-amerikanischen Kultur auf, sah ihre Fernsehsendungen, lernte Englisch. Sie waren ihren Wurzeln entrissen und grosse Perspektiven taten sich ihnen nicht auf. Ein Ventil war die Musik. Tito Rodriguez war einer der brillantesten Musiker, er war berüchtigt für seinen Perfektionswahn, doch gegen Willie Colon hatte er in dieser Zeit keine Chance. Der stiess seinen ganzen Frust in seine Posaune, dass es nur so krachte. Doch genau dies war die Musik, welche die Menschen im El Barrio erreichte. Rein musikalisch gesehen fand nach 1965 ein Niedergang statt. Spielten vorher 15 ausgebildete Musiker in einem Orchester glamouröse Musik, so waren es nun Teenager und Heranwachsende, die teilweise ohne Ausbildung das Beste aus ihren Instrumenten herausholten und dies mit einer Wut im Bauch. Doch es war ihre Musik, es war die Musik des El Barrios, die das Leben in diesem District widerspiegelte.

Boogaloo

Die erste musikalische Bewegung aus dem El Barrio war der Boogaloo. 1965 veröffentliche Ray Barretto sein geniales Album "Viva Watusi", wo er den Son dem Rock näher brachte, doch dies war noch nicht die Geburtsstunde des Boogaloos. Den ersten spielte 1966 der dazumal unbekannte Pianist Pete "El Conde" Rodriguez mit Micaela ein. Micaela ist ein Son mit Pop-Einflüssen, schrill und upbeat. Dazu sangen sie fliessend in Spanisch und Englisch. Ein Stück, das 1998 von den Sonora Carruseles wieder aufgenommen wurde und erneut zu einem Hit wurde.

Pete "El Conde" Rodriguez war im Gegensatz zu Ray Barretto ein Sohn des Spanisch-Harlems. Ray Barretto kam von der Jazzmusik und spielte früher mit Cannonball Adderley, Freddie Hubbard, Joe Zawinul, Dizzy Gillespie und vielen weiteren. Er war eine Ausnahme in dieser turbulenten Zeit. Doch er wusste immer, wer und wo sein Publikum und Freunde waren. Der Boogaloo wurde auch von Joe Cuba mit seinem Sextett geprägt. Während früher bis zu 15 Musiker auf der Bühne standen, benötigte Eddie Palmieri durch die Posaune nur noch acht Musiker. Joe Cubas Band umfasst mit ihm sechs Musiker. Vor allem seine Anordnung der Perkussion prägt den Salsa von New York bis heute. Sein Sextett spielte mit dem unvergleichlichen Cheo Feliciano am Mikrofon, dann auch den ersten grossen Hit "El Raton" der neuen Bewegung ein. Erwähnen möchte ich auch noch einer meiner Lieblingsmusiker aus dieser Zeit, Johnny Colon. Seine "Best Of"-CD lege ich immer wieder gerne zu Hause ein.

Fania

Als Johnny Pachecco seinen Vertrag bei Alegre 1964 erfüllt hatte, beschloss er, sein eigenes Label aufzubauen. Der Name für sein Label stammte von einem alten Son welcher Reinaldo Bolaño sang. Die Strophe "Ehhhh, Pa' goza - Aro macagua - Fania" gefiel ihm so gut, dass er sein Label "Fania" taufte. Beim Aufbau des Labels half ihm der Musikliebhaber und Rechtsanwalt Jerry Masucci. Zu Beginn vermarktete er nur seine eigenen Platten. Man erzählt, dass er am Anfang die Alben mit seinem Auto persönlich an die Händler und Plattenläden auslieferte. Zwei Jahre später war Jerry Masucci offizieller Partner von Fania und sie nahmen ihre ersten zwei Musiker unter Vertrag. Das waren Larry Harlow und Bobby Valentin.

Larry Harlow war ein jüdischer Pianist, der in Kuba studiert hatte und Zugang zu Rock und Jazz hatte. Bobby Valentin war ein junger Trompetenspieler aus Puerto Rico, später wurde er aus einer Notlage heraus Bassist und erweiterte mit neuen Arrangements die traditionelle Musik. Die Beiden waren das Aushängeschild des Labels für den Boogaloo. Doch begriff Johnny Pachecco schon früh, dass der Son die einzig wahre Alternative war und so kehrten er und Larry Harlow zu den Wurzeln der kubanischen Musik im Stil von Aresenio Rodriguez zurück.

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